In diesen Tagen schreibt Dietrich Bonhoeffer Gebete für seine Mitgefangenen. Viele von ihnen sind in modernen Gebetssammlungen zu finden, einige in unserem Gesang- buch, ohne dass dort etwas über den konkreten Hinter- grund ihrer Entstehung zu erfahren ist. Ich zitiere ein Ge- bet, das weniger bekannt ist. Viele Menschen finden es langweilig, wenn jedes Jahr zur gleichen Zeit das gleiche stattfindet. Feste können „tot- gefeiert“ werden und Traditionen zum bloßen Brauchtum ohne jeden Inhalt verkommen. Man feiert, weil man im- mer so gefeiert hat, aber man weiß nicht mehr warum und wozu. Herr Jesus Christus, du warst arm und elend, gefangen und verlassen wie ich. Du kennst alle Not der Menschen, du bleibst bei mir, wenn kein Mensch mir beisteht, du vergisst mich nicht und suchst mich, du willst, dass ich dich erkenne und mich zu wende. Herr, ich höre deinen Ruf und folge. Hilf mir! Jetzt aber denkt Dietrich Bon- hoeffer an seine Familie und Eberhard Bethge, die gerade zu Hause, beinahe wie in jedem Jahr, den Adventssonntag mit- einander feiern: „Wie schön, dass du noch Advent mitfeiern kannst! Ihr werdet jetzt gera- de die ersten Lieder zusammen singen. Das Altdorfer´sche Ad- ventsbild fällt mir ein und dazu der Vers: „Die Krippen glänzt hell und klar, die Nacht gibt ein neu Licht dar, Dunkel muss nicht kommen drein, der Glaub bleibt immer im Schein.“ Die Feiern im Hause Bonhoeffer waren wohl anderer Art. Es gelingt Dietrich Bonhoeffer sich gerade in den schwe- ren Zeiten durch die Erinnerung und Vergegenwärtigung der familiären Feiern zu freuen, zu stärken und ermutigen. Anstatt in Trübsal zu verfallen, weil er nicht dabei sein kann, feiert er in seiner Zelle „einfach“ mit. Er kennt den Ablauf, die Lieder, die Texte, die gelesen wer- den, die Rituale aus jahrzehntelanger Familientradition so genau, dass er „gleichzeitig“ die adventliche Stimmung von zuhause in seiner einsamen Zelle einziehen und aufle- ben lassen kann: „Ihr werdet jetzt gerade die ersten Lieder zusammen singen.“ Der Krieg in der Ukraine, die Kämpfe in Israel (und wo noch überall in der Welt), die Konflikte in unserer Gesellschaft werden uns keine unbeschwerte Advents- und Weih- nachtszeit feiern lassen. Aber hat es diese Zeiten denn je gegeben? Und so hören wir wieder diese Worte des Engels an die Hirten: „Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids.“ Thomas Brandl 3